Heinrich und Wilhelm Schickhardt – drei Genies aus Herrenberg

Da geht man tagein, tagaus in unser Schickhardt hinein, begegnet immer wieder einer interessanten Rechenmaschine oder auch einem etwas streng schauenden Herrn mittleren Alters mit hübschem Kragen und weiß doch so gar nichts oder zumindest nur Rudimentäres über unsere Namensgeber. In diesem Jahr muss sich das ändern, feiert das Schickhardt Gymnasium doch sein 60-jähriges Bestehen.

Beginnen wir also damit, uns unseren Schickhardts etwas anzunähern. Denn genau genommen verbinden wir gleich drei große Persönlichkeiten der Familie Schickhardt mit unserer Schule: Heinrich, seinen Enkel Heinrich und dessen Neffen Wilhelm, die alle drei in verschiedenen Bereichen Großes für Herrenberg leisteten.

Aber fangen wir vorne an: Heinrich Schickhardt, auch Heinrich Schickhardt der Ältere genannt, wurde 1464 in Siegen als Sohn eines Schnitzers geboren. Aufgrund der ausgebrochenen Pest verließ die Familie ihre Heimatstadt und zog immer weiter in den Süden. Heinrich ließ sich um 1500 in Herrenberg, in der Badgasse, als Schreiner nieder. Durch Heirat erhielt er 1503 das Bürgerrecht und wurde damit einhergehend auch steuerpflichtig. Durch seine außergewöhnlichen Fähigkeiten machte er sich schnell einen Namen und wurde weit über die Stadtgrenzen Herrenbergs hinaus bekannt. Er bestach durch diffizile Kunstschreiner- und Tischlerarbeiten oder half auch bei Aufgaben der Stadtwehr. Seine größten Leistungen waren aber sicher das Chorgestühl für die Stiftskirche St. Marien in Herrenberg, welches für die „Brüder vom gemeinsamen Leben“ bestimmt war und 1517 fertiggestellt wurde. Ebenso beeindruckend ist auch der Hochalter, dessen Abbildungen Heinrich Schickhardt mit kunstvoll geschnitzten Zitaten verzierte. Neben den vier Evangelisten, den Erzvätern, 12 Aposteln und auch einer Darstellung der Taufe Jesu, ließen sich die Fraterherren auch selbst auf dem Chorgestühl darstellen. Die Auftraggeber und Finanzier waren vom Ergebnis derart angetan, dass sie ihm und seinen Gehilfen ein ordentliches Trinkgeld zukommen ließen. Durch den drohenden Bildersturm der Reformation 1537 wurde das Chorgestühl wieder zerlegt und auf der Turmempore in Sicherheit gebracht. Interessant ist die Tatsache, dass das Chorgestühl wohl nur deshalb nicht zerstört wurde, da Heinrich Schickhardt der Ältere zu den angesehensten Bürgern Herrenbergs gehörte.

Darstellung Heinrich Schickardts

Im Anschluss an das Chorgestühl baute er den Hochalter, auf dem Jerg Ratgeb seine kunstvollen Bilder mit 24 Szenen aus der Passionsgeschichte malte. Auch dieser Flügelaltar gehört -zwar nur als Kopie, denn das Original steht in der Stuttgarter Staatsgalerie- noch heute zu den schönsten Zeugnissen der Stadt. Heinrich Schickhardt der Ältere starb hochangesehen am 23. August 1540 in Herrenberg und hinterließ sechs Kinder. Eines davon war der Vater unseres nächsten wichtigen Schickhardts, den wir nun etwas näher kennenlernen wollen.

Heinrich Schickhardt wurde am 5. Februar 1558 -sehr bescheiden- als Sohn eines Schreiners und Holzschnitzers in Herrenberg geboren und trat als erster Sohn auch gleich in die Fußstapfen seines Vaters Lucas. Seine Karriereleiter entwickelte sich jedoch steil und brachte ihn bereits 21-jährig zu einer Anstellung beim herzoglichen Baumeister. Durch eine reiche Heirat mit der Tochter des Herrenberger Vogts, gehörte Heinrich Schickhardt nun sogar zur Prominenz der Stadt, was sich auch in seiner Wahl als Magistrat niederschlug. 1608 wird er sogar herzoglich württembergischer Landbaumeister und ist damit einer der ersten deutschen Baumeister der Renaissance. Heinrich Schickhardt wird zeitweise der schwäbische Leonardo genannt, was sicher in Bezug auf seine Beobachtungsgabe, seine Neugier und seine Technikbegeisterung zutrifft, aber auf den Pragmatiker bezogen bleibt. Er baute unter anderem Schlösser, Kirchen, Mühlen, erfand Vorrichtungen zur Erwärmung von Wasser in einem Heilbad in Bad Boll und trat weiter als Ingenieur und Kartograph in Erscheinung. Als erfolgreicher Festungsbaumeister wollten ihn auch einst Erzherzog Maximilian von Österreich und Kaiser Rudolf II. in ihre Dienste stellen, was er aber in Hinblick auf seinen tiefen evangelischen Glauben und seine Zuneigung zum Herzog ablehnte.

In Herrenberg findet man ihn an vielen Ecken, an der Stiftskirche angefangen, über sein Geburtshaus in der Tübinger Straße, einer Wohnung in der Bronngasse oder auch an der Stadtmauer, an der er mitwirkte. Doch nicht nur hier, sogar überall in Deutschland und auch im Elsass finden sich Spuren seiner Arbeit. So stammt auch das Esslinger Rathaus mit seiner astronomischen Uhr und dem Glockenspiel aus seiner Feder, genauso wie die Stadt Freudenstadt, die wie ein Mühlespiel angelegt ist und deren Stadtkirche als Symbol des Widerstands der evangelischen Seite in der Zeit der Gegenreformation gesehen werden kann. Ein anderes Beispiel seiner Kunst ist der Leonberger Pommeranzengarten, einer der wenigen Renaissancegärten in Europa, den er als Lust- und Kräutergarten für Herzogin Sybille 1609 erbaute.

Schauen wir uns die menschliche Seite Heinrich Schickhardts an, dann zeigt sich zum einen sein unbändiger Fleiß und sein fast schon rastloses Arbeiten, zum anderen, ganz bescheiden, seine große Sparsamkeit, durch die es ihm gelang am Ende seines Lebens zu den reichsten Familien Württembergs zu gehören. Besonders tragisch ist sein Tod: Nachdem er in den Grauen des 30-jährigen Kriegs eine Verwandte vor Vergewaltigung schützen wollte, wurde er von kaiserlichen Soldaten niedergestochen und starb kurz darauf, genauer am 16. Januar 1635, an den Folgen. Das traurige Ende eines großartigen Mannes, das auch seinem Neffen Wilhelm ähnlich tragisch widerfuhr, aber beginnen wir auch hier am Anfang:

Wilhelm Schickhardt wurde am 22. April 1592 in Herrenberg geboren und ist wie sein Onkel Sohn eines Schreiners. Nach seinem Besuch der Klosterschule, des Stifts in Tübingen und der Erlangung des Magistergrads ist seine Laufbahn als Theologe vorgezeichnet. Neben seinem Interesse für die Theologie beschäftigte er sich intensiv mit Astronomie, in deren Dunstkreis er auch die Bekanntschaft mit Johannes Kepler machte, der 1617 zur Verteidigung seiner als Hexe angeklagten Mutter nach Tübingen reiste. Aus dieser Begegnung erwuchs eine tiefe Freundschaft, die von gegenseitigem Respekt geprägt war. Kepler sprach von Wilhelm Schickhardt auch von einem „beidhändigen Philosoph[en]“, da er nicht nur in der Lehre ein kluger Geist war, sondern auch kleine Apparaturen entwickelte, um zum Beispiel seinen Studenten das Hebräisch lernen zu erleichtern. Auch als Astronom zeigte sich seine technische Begabung, indem er 1623 ein Astroscopium erfand, ein kegelförmig gerolltes Papier, in dessen Mitte man den Sternenhimmel sehen konnte. Neben einer Theorie der Mondbewegung, die ihm die graphische Darstellung der Mondposition zu jedem Zeitpunkt möglich machte, konstruierte er auch ein Handplanetarium, welches man sich auch auf dem bekannten Porträt anschauen kann.

Diese Konstruktion weist ihn als Anhänger des sogenannten heliozentrischen Weltbilds aus, das besagt, dass die Sonne im Zentrum des Universums steht und nicht die Erde, wie es in jener Zeit vor allem von kirchlicher Seite proklamiert wurde. Als Professor für Hebräisch und später für Astronomie in Tübingen konnte er sein Wissen weitergeben. Doch sein größter Coup war sicher die Erfindung der ersten Rechenmaschine, die neben Addition und Subtraktion auch die Multiplikation und Division beherrschte und von der heute nur noch Nachbildungen existieren.

Darstellung Wilhelm Schickhardts:

Besonders tragisch ist auch sein Tod, überlebte er doch die erste Welle der Pest 1634 in Tübingen und verlor dabei neben seiner Frau auch seine drei Töchter. Doch der zweiten Welle konnte er nicht mehr standhalten und so starb Wilhelm Schickhardt einen Tag vor seinem Sohn am 23.10.1635 in Tübingen.

Ein interessanter Videoclip zur Funktion der Rechenmaschine findet sich auf der Seite der Universität Tübingen.
https://uni-tuebingen.de/fakultaeten/mathematisch-naturwissenschaftliche-fakultaet/fachbereiche/informatik/fachbereich/geschichtliches/wilhelm-schickard/ (Stand: 20.10.2022)

(Rf)

Quellen:

Heinrich Schickhardt. Impressionen. Auf den Spuren des Renaissance-Baumeisters.

Denise Rietsch (u.a.), Heinrich Schickhardt. Inventarium 1630-1632. Inventar der Güter und der Werke eines Architekten der Renaissance, Karlsruhe 2013.

https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Schickhardt_der_%C3%84ltere (Stand: 20.10.2022)

https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Schickhardt (Stand: 20.10.2022)

https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Schickard (Stand: 20.10.2022)

Bilder:

Foto des Hochaltars (original): Von Jerg Ratgeb – Eigenes Werk Anagoria Aufgenommen am 12. Mai 2013, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=27875376 (Stand: 20.10.2022)

Darstellung Heinrich Schickardts: Von Nach Carl Beisbarth sen. – eingescannt aus: Horst Schmid-Schickhardt: Bedeutende Verwandte um Heinrich Schickhardt, Baden-Baden : Schmid-Schickhardt 1999, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=42607730 (Stand: 20.10.2022)

Darstellung Wilhelm Schickhardts: Von Conrad Melperger – eingescannt aus: Roman Janssen; Oliver Auge (Hg.): Herrenberger Persönlichkeiten aus acht Jahrhunderten, Herrenberg 1999, ISBN 3-926809-09-4, S. 190., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6805089 (Stand: 20.10.2022)